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Das erste was man verstehen muss, ist, dass in der romantischen Lyrik die Schönheit eines Gedichtes nicht immer von seiner Qualität abhängt. Der Partner würdigt nicht die Güte des Poeten in ihnen, sondern die Gefühle, die sie ihm entgegenbringen. Es gibt keine schlechten Gedichte - nur falsche Interpretationen.

Für Anfänger

Prolog

Es gibt mehrere Möglichkeiten sich diesem Thema und der Lyrik im Allgemeinen zu nähern. Ich beschränke mich hier darauf, ihnen die Gefühlslyrik etwas näher zu bringen. Also auf Gedichte, die ausschließlich den Zweck haben Gefühle zu vermitteln. Vielen fällt es schwer zu beschreiben wie sie sich fühlen. Geschweige in einem Gedicht. Ich will ihnen hier einen von mehreren Zugängen zeigen, der ihnen die ersten Schritte erleichtern kann.
Sollten sie trotzdem nach dieser Einweisung nicht in der Lage sein, selbstständig ein Gedicht zu schreiben, bekommen sie ihr Geld zurück.

Der Zugang der inneren Sprache

Jeder Mensch verfügt über eine ganz eigene "Gefühlssprache". Sie ist ganz individuell geprägt und basiert dabei keineswegs allein auf Wörtern. Zum Beispiel stellen Farben (ebenso wie zum Beispiel bestimmte Blumen) eine ganz universell gebrauchte Gefühlssprache dar. Wenn sie sich einen ruhigen, romantischen Abend mit ihrer Freundin oder Freund vorstellen, welche Farben kommen ihnen in den Sinn? Versuchen sie sich dabei ein Bild vorzustellen - ganz sicher ist dieses nicht schwarz/weiß. Je stärker sie sich an entsprechende Emotionen erinnern umso intensiver können auch diese Farben sein. Das Bild und die Farben sind dabei dennoch von Mensch zu Mensch nie wirklich gleich.

Beispiele

Jeder Text, der auf Ausdrücke einer (zumindest für sie verständlichen) Gefühlssprache verzichtet, kann damit völlig unterschiedlich interpretiert werden. Hier ein Beispiel für einen Text, der offensichtlich Gefühlssprache verwendet:

...ein warmer Luftzug - sanft streicheln die goldenen Strahlen ihre weichen Wangen. Der Abend zieht vorsichtig durch das geöffnete Fenster, sein Licht zärtlich spielend mit den zerbrechlichen Schatten zu ihren Füßen - als sie hinter sich ein leises Geräusch hört und ein Lächeln aus den weichen Schatten tritt. 'Hallo, Du'...

Die Wirkung dieses Textes dürfte klar sein - aber WARUM ist das so? Obwohl hier in keiner einzigen Zeile das Mädchen (bzw. die Frau), das Zimmer oder die Person im Hintergrund beschrieben wird, hat der Leser mit Sicherheit eine ziemlich genaue Vorstellung, wie diese jeweils aussehen. Wurde wirklich erwähnt, dass die Stimme im Hintergrund männlich ist, oder haben sie das dank ihrer Intuition frei erfunden?

Im Folgenden der gleiche Text OHNE die Hilfe von Gefühlssprache.

...ein Luftzug - es ist am Abend. Das Licht wirft Schatten auf den Boden. Hinter ihr - ein Geräusch. Jemand tritt aus dem Schatten. 'Hallo, Du'...

Versuchen sie herauszufinden, wie dieser Text wirkt. Es wird ihnen schwer fallen, da sich dieser Text auf die bloße Beschreibung der Situation beschränkt.

Ein letztes Beispiel. Die selbe Situation wie im Beispiel zuvor, aber mit anderen Gefühlen verbunden.

...ein eisiger Luftzug - diffuses Licht streicht über ihre müden Wangen.Der Abend kriecht durch das weit geöffnete Fenster und sein fahles Licht spielt mit den zerbrechlichen Schatten zu ihren Füßen - als sie plötzlich hinter sich ein Geräusch hört und aus der Dunkelheit ein vertrautes, diabolisches Grinsen tritt. 'Hallo, Du'...

Sie stimmen mir sicher zu, dass sich die Wirkung das Textes verändert hat. Die bloßen Fakten lassen sich dennoch auf den gleichen Text reduzieren, den wir zuvor betrachtet haben. Die Intuition gaukelt dem Leser jeweils ein Bild vor - weil wir menschlich sind und Gefühle haben, die wir mit diesen Elementen der Gefühlssprache assoziieren. Wer schreiben will, muss also die Gefühlssprache des Lesers ansprechen, um bei ihm das gleiche Gefühl zu erzeugen, dass er selbst während des Schreibens hatte.

Schritt-für-Schritt Anleitung

Einer der möglichen Zugänge besteht über die 'innere Sprache'. Dies ist eine jedem Autor eigene, persönliche Ausdrucksweise - ein bestimmter Teil der persönlichen Gefühlssprache.

Schritt 1

Beginnen wir mit etwas einfachem. Schreiben sie Zeilen Text - egal welchen. Verwenden sie dabei keine real existierenden Wörter, sondern etwas beliebiges, dass ihnen gerade in den Sinn kommt. Sie werden feststellen, dass es ihnen recht leicht gelingt, aus einem Gefühl heraus zu schreiben - an dieser Stelle müssen sie sich um den eigentlichen Inhalt noch nicht sorgen, das kommt später.

Der Text könnte zum Beispiel wie folgt aussehen:

Nakosch Coriad
...evaliat semi.
Avalahre una -
etu natal it?

Schritt 2

Unbewusst haben sie - obwohl er scheinbar absolut sinnfrei ist - bereits Empfindungen in diesem Text verarbeitet. Daher werden ihnen - trotz das es keine wahre Bedeutung gibt - gewisse Strukturen auffallen. Versuchen sie nun für ihren Text eine Deutung zu finden. Beginnen sie mit einzelnen Wörtern und füllen sie den Rest Stück für Stück auf.

Zum Beispiel:

Rose rot
...gleich alle.
Ausgenommen eine -
denkst du daran?

Schritt 3

Schauen sie sich ihre "Übersetzung" noch einmal an. Lesen sie sich ihren Entwurf durch und versuchen sie ihn zu verbessern. Stellen sie dazu ihre Worte um oder verändern sie die Grammatik.

Rote Rosen
...alle gleich.
Bis auf die eine -
du bist es, an die ich denke.

Gratulation! Sie haben soeben das Grundgerüst zu einem neuen Gedicht entworfen. Der Rest liegt ganz allein bei ihnen.

Gestaltung

Um ihnen einen Eindruck zu geben, was sie für Möglichkeiten haben, sich auszudrücken, hier einige Beispiele.

Beispiel 1: Optische Wirkung

Deine Augen leuchten wie zwei Sterne, dein Blick verzaubert mich. Du bist das Wunder meines Lebens, denn ich liebe dich.

Hier wird zusätzlich Reimform verwendet, um die Wirkung zu unterstreichen.

Beispiel 2: Weniger ist mehr

Ein sanfter Himmel - strahlendes Licht - sind deine Augen.
In die ich sah -
als ich mich das erste Mal verliebte.

In diesem Beispiel würde ein Reim künstlich wirken. Die Ehrlichkeit dieser Aussage wird gerade dadurch unterstrichen, dass auf einen Reim bewusst verzichtet wurde. Der erste Text wirkte vielleicht romantischer - der zweite eher einfühlsam und ehrlich.
Entscheiden sie sich je nachdem welche Wirkung sie erzielen wollen.

Zwei weitere Beispiele zum direkten Vergleich:

Beispiel 3:

In Flammen - mein Herz.
Feuer - in deinen Augen.
Die Ewigkeit - für dieses Gefühl.
 
Denn wir sind hier - vereint in Liebe.

Beispiel 4:

Mit heißer Flamme brennt mein Herz -
seine lodernde Flamme sich spiegelnd in deinen Augen.
Uns bleibt die Ewigkeit für dieses Gefühl.
 
Denn wir sind uns nah
- in diesem Moment
- in Liebe.

Welches der beiden letzten Beispiele ihnen besser gefällt, sei ihnen überlassen. Im 3. Beispiel wird ein Ausdruck zuerst in den Raum gestellt und anschließend assoziiert, so dass er eine neue Bedeutung erhält. Die beiden letzten Beispiele lassen sich in allgemeine Schemata ("Kochrezepte") einordnen. Das ist eine angenehme Eigenschaft, denn sie ermöglicht es ihnen, gute Gedichte ohne großen Aufwand zu schreiben.

Ein Kochbuch für Gedichte

Rezept 1: Aufzählung

  • Fakt
  • Fakt
  • ...weitere Fakt(en)...
  • Fakt
  • Assoziation
  • Konklusion

ein bezauberndes Lächeln -
so tiefe Augen -
ein Blick voller Sehnsucht...

...das bist du.

Ich liebe dich.

Analyse

Fakt 1 + ein bezauberndes Lächeln +
Fakt 2 + so tiefe Augen +
Fakt 3 = ein Blick voller Sehnsucht
Assoziation = das bist du.
=>  
Konklusion Ich liebe dich.

Rezept 2: Assoziation

  • Objekt - Assoziation
  • Objekt - Assoziation
  • ...
  • Objekt - Assoziation
  • Scheinkonklusion oder
    rhetorische Frage
  • Ergebnis oder Wendung
    (Konklusion)

ich bin - einsam
du - nicht hier
dein Herz - verloren

... und doch - trage ich immer noch dein Bild.
... und doch - ruft mein Herz noch deinen Namen.
... und doch - liebe ich dich.

Sag mir - was fühlst du?

Analyse

Objekt 1 := Assoziation 1 ich bin := einsam
Objekt 2 := Assoziation 2 du := nicht hier
Objekt 3 := Assoziation 3 dein Herz := verloren
<= Gegenüberstellung:
hier durch mehrere Scheinkonklusionen
... und doch <= trage ich immer noch dein Bild.
... und doch <= ruft mein Herz noch deinen Namen.
... und doch <= liebe ich dich.
= echte Konklusion = Sag mir was fühlst du?

Rezept 3: Steigerung

  • Startpunkt
  • semant. kleinster Fakt
  • "größere" Fakten
  • semant. größter Fakt
  • Ziel

Ich wollte ...
Einen Blick - ein Lächeln - ich wollte Liebe.

Und plötzlich sah ich ...
Deine Augen - dein Gesicht - spürte dein Herz.

Ich fand soviel mehr als ich hoffte.
Denn ich fand dich.

 

Analyse

Startpunkt Ich wollte ...
Steigerung:
Fakt 1 < Fakt 2 < Fakt 3
Einen Blick < ein Lächeln < ich wollte Liebe.
Startpunkt Und plötzlich sah ich ...
Steigerung:
Fakt 1 < Fakt 2 < Fakt 3
Deine Augen < dein Gesicht < spürte dein Herz.
Ziel Ich fand soviel mehr als ich hoffte.
"Maxime" (größter Fakt) < Denn ich fand dich.

Epilog

Um weitere "Rezepte" zu finden, können Sie ein Mathebuch zu Rate ziehen, denn mathematische Beweise bilden (so verrückt es klingt) geeignete Vorgaben. Mathematik ist ein Werkzeug - wie mit vielen Dingen im Leben kommt es darauf an, was man damit anstellt.

Damit genug für diese Einführung. Es gibt gewiss andere Möglichkeiten, an dieses Thema heranzugehen. Daher würde mich freuen, wenn sie mir weitere Beispiele oder sogar eigene Gedichte zuschicken möchten.

(ac/tom) Diskussion